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Anfragentsunami – so viele Batteriespeicher werden wirklich kommen

Die Zahl ist deutlich niedriger.

Hi Cleantechie!

Vor ein paar Wochen hatte ich dir gezeigt, dass die angefragte Zahl an Speicherleistung bei mindestens 336 GW liegt.

Aber nicht alles, was angefragt wird, wird auch ans Netz angeschlossen.

Deswegen schauen wir uns heute die Anatomie des Batteriespeicher-Booms genauer an. Ich habe mit Branchenexperten darüber gesprochen, wie viele Batteriespeicher wirklich kommen werden – und warum diese Zahl erstaunlich niedrig ist.

Hinweis: Diese PRO-Ausgaben kommen ca. zweimal im Monat zusätzlich zu den freien Dienstags-Ausgaben. Hier kannst du upgraden.

Das sind die weiteren Themen im Großspeicher-Schwerpunkt für die nächsten Wochen:

  • Wie ein Großspeicher Geld verdient und wie viel 🕵️

  • Nicht nur Lithium-Ionen – ich blicke auf andere Zellchemien 🤘

Let’s go!

So viele Batteriespeicher werden kommen

Während meiner Recherche habe ich allen meinen Gesprächspartnern eine Frage gestellt: „Was schätzt du, wie viele der angefragten Speicher werden auch tatsächlich kommen?” Die Antworten waren eindeutig.

  • Gratian Permien, Gründer des Startups Conductr.io: „Höchstens 30%.”

  • Tobias Badelt, Pressesprecher des Großspeicherentwicklers Ecostor: „Unsere Ecostor-Meinung ist: Da kommen 10 bis 20 Prozent.”

  • Christian Schäfer von der Analyseplattform Regelleistung Online: „5-10%”

  • In einer Umfrage hier im Newsletter haben die Pro-Leser auch geschätzt: im Durchschnitt 24,2% (Median: 15,5%).

Aus 336 GW angefragter Batteriespeicherleistung und mehr als 650 GWh Kapazität werden so vielleicht 50 GW und 100 GWh.

Das entspricht zwar noch immer einer guten Verfünfzigfachung, gemessen am aktuellen Bestand von 2,6 GWh.

Quelle: Battery Charts

Aber es sind keine Zahlen, die zu blinder Euphorie führen sollten.

Nachdem ich die niedrigen Schätzungen der Experten gehört hatte, wollte ich es genauer wissen: Wieso werden nur so wenige Speicher realisiert?

Die Antwort ist sehr einfach.

Deswegen:

Im Ernst: Am Energie- und Batteriemarkt kommen gerade mehrere Faktoren zusammen, die eine einzigartig günstige Lage für Batteriespeicher geschaffen haben.

Gleichzeitig ist es genau diese einzigartig günstige Lage, die die Realisierungsquote der angefragten Speicher drückt.

Bei einem Wettrennen können nicht alle gewinnen.

Warum gerade jetzt so viele Speicher kommen

Dass große Batteriespeicher eine wichtige Rolle spielen werden, war bereits vor Jahrzehnten Visionären wie Tony Seba klar. Die breitere (Fach-)Öffentlichkeit zweifelte allerdings lange.

Diese Zweifel werden genauso stetig kleiner, wie Speicher billiger werden. Zur Zeit fällt der Preis pro kWh im Schnitt um 10 Prozent pro Jahr. China hat es geschafft, ein Projekt auf unter 66 Dollar für die KWh zu drücken.

Fast spiegelbildlich zum Preisverfall von Batteriespeichern kamen mehr erneuerbare Energiequellen ans Netz. Deren unstete Einspeiseleistung führt zu teils kuriosen Marktsignalen. Deutschland hatte vergangenes Jahr 457 Stunden, in denen der Strompreis negativ war.

Diese Volatilität eröffnet jedoch eine Marktchance. Bisher haben Speicher oft am Markt für Netz-Systemdienstleistungen teilgenommen. Dieser Markt ist aber begrenzt, weil das gesamte Netz physisch begrenzt ist. Viel mehr Volumen liefert der Strommarkt selbst, der Handel mit Strom.

Preisverfall bei Batterien und wachsende Marktchance durch Erneuerbare – das sind die zwei wichtigsten Faktoren, die notwendigen Bedingungen für den aktuellen Boom.

„Die Geschäftsmodelle für große Speicher sind erst seit ca. einem Jahr so, dass du einen vernünftigen Erlös berechnen kannst, sodass Investoren in diese Speicher investieren”, sagte mir Tobias Badelt, Pressesprecher von Ecostor.

Es gibt aber noch kleinere,hinreichende Bedingungen für den Boom.

  • “Co-Location” wird ein immer größeres Thema, speziell für neue Solarparks. Solar+Speicher ist für viele neue Planungen heute bereits Standard, weil ein einzelner Solarpark nicht mehr so wirtschaftlich ist.

  • Gleichzeitig rüsten manche Betreiber ihre bereits bestehenden Anlagen mit Speichern auf. Beispielhaft für beides etwa EnBW hier.

  • Einige Wind- und Solarbetreiber haben nach dem Ukraine-Krieg in den Energiekrisenmonaten gut an hohen Strompreisen verdient. Nun haben sie genug Cash, um zu investieren.

  • Gleichzeitig zeichnen sich Speicher mit ihren stabilen Margen als gute Infrastrukturinvestments ab. Das erschließt einen viel größeren Kapitalpool von eher konservativen Investoren. So investiert etwa die Aquila Group aus Hamburg auch in Netzspeicher.

  • Aber der Kreis von Speicherinteressenten ist substantiell größer geworden. Autofirmen, die Zugriff auf viele 2nd-life Autobatterien haben können, z.B. VW, gehen in den Speichermarkt. Dann gibt es noch viele andere Firmen wie z.B. Rheinmetall die Speicher auf ihrem Gelände bauen, um den Eigennutzungsanteil zu erhöhen.

Während meiner Recherche wollte ich von Projektierern wissen, wo genau sie gerade Speicher angefragt haben. Die drucksten etwas herum – verständlicherweise. Denn gute Standorte und Netzanschlüsse sind rar. Niemand will, dass die Pachtverhandlung mit einem Grundstückseigentümer wegen neuer Konkurrenz noch scheitert.

Aber dennoch lässt sich allgemein beschreiben, was ein guter Standort ist.

Wo die besten Standorte sind

Tricera Energy aus Bobritzsch-Hilbersdorf nahe Dresden baut viele Speicher, in denen 2nd-Life-Batterien zum Einsatz kommen. Im Gespräch beschrieben sie mir gute Standorte:

Mittelspannung: Umspannwerk mit Fläche daneben, keine Kabelstrecke, keine Wegerechte, habe direkt eine Übergabestation, oft dürfen Kommunen auch Speicher privilegieren d.h. man braucht nicht zwingend einen Bebauungsplan, der immer öffentlich ist, ein Bauantrag könnte reichen ohne zwingende öffentliche Anhörung.

Hochspannung: Ich suche mir Höchstpannungsumwerke, davon gibt es aber nicht so viele. Option B: Ich gehe an eine Leitung, sichere mir ein Grundstück, auf dem schon ein Mast der Leitung steht. Nicht zu nah und nicht zu weit weg, zwischen 10 und 15 Metern entfernt für ein eigenes Umspannwerk.

Diese Kriterien bedeuten, dass nur ein kleiner Bruchteil der 357.588 Quadratkilometer der Bundesrepublik überhaupt für Speicher geeignet ist.

Hat ein Projektierer eine Fläche gefunden, muss er sie sich sichern. Tricera hat dabei insbesondere in Sachsen eine bemerkenswerte Beobachtung gemacht: „Man trifft politisch auf Leute, die gegen die Energiewende sind, aber sagen: ‚Das Geld stimmt, ich mache es trotzdem.‘ Aber mehr Leute sind positiv überrascht davon, was wir vorhaben als negativ eingestellt.”

Die Großspeicher-Unschärferelation – warum Unternehmen mehrere Standorte anfragen

Sobald das Land gesichert ist, geht es zu den Netzbetreibern. Sie bearbeiten Netzanschlussanfragen in chronologischer Reihenfolge. Wer zuerst mit einem Antrag kommt, der alle Bedingungen der Betreiber erfüllt, bekommt den begehrten Standort. Gleichzeitig ist es verhältnismäßig einfach, einen Antrag zu stellen. So braucht es etwa bei der E.ON-Tochter Avacon nur einen Bauantrag.

Hier bildet sich das erste große Nadelöhr. Der Projektierer weiß nicht, ob er der Erste an diesem einen Standort, den er im Auge hat, ist. Deswegen sichert er sich ab und stellt für den gleichen Speicher mehrere Anfragen an verschiedenen Standorten. Klappt’s hier nicht, klappt es vielleicht dort. Das haben mir Netzbetreiber und Projektierer bestätigt.

Das bedeutet für die Netzbetreiber eine Flut von Anfragen, die sie qua Gesetz ordentlich bearbeiten und genehmigen müssen. Die Anfragen können für die Projektierer aber auch nur ein Hedge sein, eine Absicherung. Bekommen die Projektierer die Zusage für einen anderen Standort, ziehen sie ihre Anfragen wieder zurück oder lassen die Genehmigung auslaufen.

Dieser Prozess hat Regeln, ist aber als Ganzes sehr chaotisch. Denn zu keinem Zeitpunkt ist klar, ob die angefragten Speicher auch wirklich den echten Wunsch zum Bau widerspiegeln.

Das ist wie mit den Teilchen in der Heisenberg’schen Unschärferelation. Sobald die Anfrage für einen Speicher bearbeitet wird, kann es sein, dass sie verschwindet.

Alle Netzbetreiber, mit denen ich gesprochen habe, die ÜNB und vereinzelte VNBs, haben mir versichert, dass sie gerade ihre Prozesse überarbeiten, um mit diesen Anfragen umzugehen. Es gab keine Details; es zeugt aber von Problembewusstsein.

Wovon der Bau letztlich abhängt

Vielleicht ist den Antrag beim Netzbetreiber durchzukriegen das kleinste und damit schwierigste Nadelöhr auf dem Weg zum fertigen Speicher. Es ist aber nicht das Einzige.

Ich habe beispielhaft eine Prozessskizze aus „The BESS Book” herausgesucht. Sie hat den US-Markt im Blick, gibt aber dennoch ein Gefühl für die Komplexität der vielen Einzelschritte.

Ich will mich auf drei Dinge konzentrieren, die ein Projekt stoppen können, auch wenn Land und Anschluss gesichert sind: Zertifizierung, Geld, Anlagen.

  1. Zertifizierung: Gratian Permien, Gründer des Startups Conductr, das beim Netzanschluss hilft, sagte mir: „Es ist abzusehen, dass die Pflicht zur Zertifizierung Projekte, die bereits beim Netzbetreiber angefragt sind oder sogar eine Zusage haben, zu Fall bringt.” Nur ein Beispiel: Die Projekte müssen die Kriterien der Kritis-Verordnung erfüllen, die digitale Angriffe erschweren sollen. Gleichzeitig „haben viele Netzbetreiber jeweils eigene ‚Technische Anschlussbedingungen‘, das ist insbesondere für Entwickler, Planer und Installateure, die bundesweit arbeiten, ein Problem”, so Permien.

  2. Geld: Hast du Land, Anschluss und Zertifizierungen im Blick, hast du aber immer noch kein Geld. Die ganz großen Speicher von mehreren Hundert MWh können auch mal 300 Millionen Euro kosten. Die wenigsten Firmen finanzieren das komplett mit Eigenmitteln. Sie holen sich einen Kredit. Philipp Berger von Tricera Energy beobachtet allerdings noch etwas Zurückhaltung: „In der Finanzierung müssen die Banken nachziehen. Die ersten größeren Institute fangen an, das zu verstehen.”

  3. Der Bau: Land, Anschluss, Geld – jetzt können die Geräte kommen. Dafür braucht es Dienstleister, die auch tatsächlich Zeit haben und es braucht Batteriezellen, Kühlung, Wechselrichter, Managementsysteme – und Transformatoren. Zurzeit herrscht Mangel auf dem Weltmarkt.

In Summe kann der Bau eines Batteriespeichers länger ziehen, als es auf den ersten Blick wirkt; drei bis vier Jahre.

Das ist für große Projektierer mit mehreren Einnahmequellen kein Problem. Aber Gratian Permien sagt: „Wir hatten die Goldgräber-Stimmung auch schon bei PV. Die Erfahrung zeigt, dass dann neue Unternehmen hochkommen, 2-3-Mann-Firmen, die mal etwas planen und dann lange warten. Aber in dieser Zeit kommt kein Cashflow.”

Der Markt werde sich, ähnlich wie der PV-Markt, zügig konsolidieren, so Permien.

🍏 Was ich denke – ein Ausblick

Hier meine persönliche Einschätzung. Feedback willkommen - ob Kritik oder Lob. Antworte direkt oder nutze die Kommentarsektion.

Den Batteriespeicher-Wettlauf wird nicht der technisch ausgefuchsteste Anbieter gewinnen, sondern der schnellste.

Denn der Großteil der aktuellen Speicherkohorte wird sein Geld mit dem Ausnutzen von Preisunterschieden, mit Arbitrage, verdienen.

Wir kennen Arbitrage-Geschäfte von anderen Märkten wie dem Finanzmarkt. Ein Beispiel ist, wenn die Aktien eines Unternehmens an Börse A weniger kosten als an Börse B. Dort zeigt sich, dass komplett offensichtliche Geschäftsmodelle, die allein darauf abzielen, Ineffizienzen im Markt auszubügeln, zügig ihre Margen verlieren.

Wer zuerst Speicher ans Netz anschließt, kann zuerst die große Handelschance ergreifen und so die Preisunterschiede glätten. Mit jedem weiteren Speicher wird die Handelschance etwas kleiner, bis ein dynamisches Gleichgewicht entstanden ist.

In dieser Situation werden zwei Dinge passieren: Erstens werden die Margen für alle dauerhaft sinken. Das wird zweitens dazu führen, dass die Speicherprojektierer in Hard- und Software investieren, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

Im besten Fall erleben wir dann eine Situation, in der nicht mehr der schnellste Anbieter gewinnt, sondern der beste.

Oder mit anderen Worten: Wenn die nächste Generation Großspeicher in vielleicht 10 Jahren ans Netz gehen wird, dürfte sie anders aussehen als die jetzige.

Ich hatte das bereits hier angedeutet: Zurzeit nutzen auch Großspeicher Batteriezellen, die vorrangig für E-Autos entwickelt wurden. Vielleicht ist das sinnvoll, vielleicht aber werden Projektierer vor allem für die längere Speicherung mit neuen Zellchemien und Projektarchitekturen experimentieren, die im hart umkämpften Arbitrage-Markt dauerhafte Vorteile versprechen.

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Rico Grimm

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