Die Energiewende-Prokrastination droht

Was die neue Energieministerin Katherina Reiche vorhat – und was es bedeutet

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Diese Woche werfe ich einen Blick auf die Agenda der neuen Energieministerin Katherina Reiche (CDU). Ganz kurze Fassung: Mehr Gas, weniger Erneuerbare, und alles bitte billiger.

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Was Katherina Reiche vorhat – und was es bedeutet

Die neue Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche hat in ihren ersten großen Reden deutlich gemacht, worauf sich die deutsche Energiebranche einstellen kann.

Ich habe die wichtigsten Punkte aus den Reden herausgearbeitet.

Die wörtlichen Zitate stammen aus diesen Quellen: Antrittsrede I, II und beim Ludwig-Erhard-Gipfel hier in der SZ.

1️⃣ Mehr Ordnungspolitik

Reiche grenzt sich von der Politik ihres Vorgängers Roberts Habeck prinzipiell ab. Sie wolle das Wirtschaftsministerium wieder zum „ordnungspolitischen Gewissen“ des Landes machen. Das bedeutet: Den Rahmen vorgeben, in dem sich die Wirtschaft frei entfalten kann. Es solle „mehr Markt“ und „mehr Innovation“ geben.

🍏 Was ich denke: Eine CDU-Ministerin bekennt sich auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel zur Ordnungspolitik. Das ist nur deswegen erwähnenswert, weil es einen Bruch mit der Politik der Ampel bedeutet. Diese hatte immer wieder in den Markt eingegriffen, etwa mit direkten Subventionen für einzelne Unternehmen wie den Batteriehersteller Northvolt.

2️⃣ Weniger Klimaschutz

Habeck habe den Klimaschutz „fast überbetont“. Darunter hätten Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit gelitten. Die Energiewende brauche einen “Realitätsscheck“.

🍏 Was ich denke: Gibt es einen nachvollziehbaren Unterschied zwischen Überbetonen und Fast-Überbetonen? Der Schluss liegt nahe, dass Reiche sehr wohl denkt, dass Habeck den Klimaschutz überbetont habe, sich aber nicht traut, das direkt auszusprechen. Auch der Hinweis auf die „Versorgungssicherheit“ ist eine Finte. Denn, erstens, gibt es immer weniger Stromausfälle im Land und, zweitens, war die Energieversorgung vor allem im Jahr 2022 gefährdet – wegen der großen Abhängigkeit von Gas.

3️⃣ Weniger Energiewende-Ambition

„Erneuerbare Energien allein werden eine Industrienation wie Deutschland nicht zuverlässig und zu bezahlbaren Preisen mit Strom versorgen können“, sagte Reiche. Sie glaube nicht an eine vollelektrische Welt. „Wir werden weiter Moleküle brauchen.“ Und weiter: „Gerade bei der Transformation ist Technologieoffenheit wichtig: Wir haben, Stand 2025, definitiv noch nicht alle Lösungen für eine klimaneutrale und gleichzeitig bezahlbare Energieversorgung.“

🍏 Was ich denke: Ich erwarte nicht, dass eine deutsche Energieministerin wie ein Solarpunk klingt. Ich erwarte aber, dass sie grundsätzlich anerkennt, welche Technik bereits heute existiert. Denn wir haben, Stand 2025, alle Lösungen für eine klimaneutrale Energieversorgung. Solar, Wind, Batterien und Speicher aller Art sind schon jetzt vorhanden. Und ja, auch „Moleküle“, also E-Fuels, werden eine Rolle spielen. Technologieoffenheit kommt also wieder als Feigenblatt für Energiewende-Prokrastination daher.

4️⃣ Mehr Gaskraftwerke

Bis zu 20 GW Gaskraftwerke müssten zügig gebaut werden, so die Ministerin. Zudem der etwas kryptische Satz: „Wir wollen im Inland die Produktionsbedingungen für Gas verbessern.“ Was sie damit meinte, erklärte sie nicht. (Fracking?)

🍏 Was ich denke: Ich hatte es vor ein paar Wochen schon geschrieben: Eine zuverlässige Stromversorgung ist unverhandelbar. Und wenn dafür Gaskraftwerke gebaut werden müssen, die im Zweifel nicht sehr oft laufen, ist das nicht gut, aber verschmerzbar. Was aber nicht so gut zu verdauen ist: Erst die „Technologieoffenheit“ einfordern und dann sehr technologieunoffen 20 GW Gaskraftwerke als steuerbare Erzeuger bestimmen. Warum nicht frei nach Ludwig Erhard ein System entwickeln, mit dem die jeweils günstigste Technologie die Versorgungssicherheit gewährleistet? Das könnte Gas sein. Aber vielleicht wären es dann eben auch weniger Gaskraftwerke.

5️⃣ Blauer Wasserstoff 

Um den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zu beschleunigen, sollte „farbneutral“ vorgegangen werden. Heißt: Wasserstoff soll erstmal nicht zwingend grün sein.

🍏 Was ich denke: Noch vor einem Jahr hätte ich bei diesem Vorschlag einen Mini-Rant geschrieben. Inzwischen aber ist klar: Es gibt absehbar nicht genügend grünen Wasserstoff für alle in der Industrie. Aber ohne H2 kann die Industrie auch nicht ihre Prozesse einüben und verbessern. In einem früheren Interview mit der Wirtschaftswoche hatte Reiche gesagt: „Stellen Sie sich vor, E-Autos wären erst dann zugelassen worden, wenn der Strom dafür zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen kommt.“ Das wäre Blödsinn gewesen. Da hat sie recht.

6️⃣ Netzausbau und Erneuerbaren-Ausbau im Gleichschritt

„Zeitlich und räumlich“ müssten Netzausbau und Erneuerbaren-Ausbau zusammen gedacht werden.

🍏 Was ich denke: Diese Bedingung hat das Potenzial, allen Fortschritt zunichtezumachen, den die Ampel beim Zubau erneuerbarer Energie erzielt hat. Denn sie ist ein Zirkelschluss. Netzausbau ist schließlich nur nötig, wenn mehr Erneuerbare angeschlossen werden. Wenn wiederum der Netzausbau zu langsam abläuft, kann der Erneuerbare-Ausbau gebremst werden. Katherina Reiche ist jetzt Ministerin, war aber bis vor Kurzem noch Chefin des E.ON.-Verteilnetzbetreibers Westnetz. Reiches Biografie ist bei diesem Punkt ein wichtiges Detail. Denn E.ON hatte Mitte März zusammen mit RWE gefordert (PDF, S.4), den Ausbau der Offshore-Windkraft abzubremsen. Begründung: zu teure Anschlüsse für die Netze.

7️⃣ Mehr Flexibilität im Netz

Dynamische Stromtarife will die Ministerin stärken, bidirektionales Laden unterstützen und den Ausbau systemdienlicher Speicherkapazitäten vorantreiben.

🍏 Was ich denke: Die Verben sind wichtig. „Stärken“, „unterstützen“ und „vorantreiben“. Sie klingen gut. Sie sagen aber nichts aus, wenn sie von einer Regierung kommen, die auch Gesetze ankündigen könnte. Der Kontrast zu den sehr konkreten 20 GW Gaskraft ist bezeichnend.

👉️ Steige tiefer ein

  • „Kommt jetzt die Spahn-Delle?“ Vor einem Monat habe ich skizziert, was Schwarz-Rot anrichten könnte, wenn es die Energiewende einseitig ausbremst.

  • Die Wirtschaftswoche glaubt, dass Reiche eine Energiekonzernministerin wird (€).

  • Wo der Wasserstoff-Hochlauf steht – meine Anlayse.

Die wichtigen News

Nachrichten, über die die Branche gerade spricht.

☀️ Solarenergie

  • 1Komma5 verschiebt Pläne zur Modulproduktion in Deutschland (PV-Magazine)

  • Huawei wegen EU-Korruptionsermittlungen von SolarPower Europe ausgeschlossen (PV-Magazine)

  • Verbraucherzentrale NRW warnt vor Irrtümern bei Photovoltaik-Anlagen (PV-Magazine)

  • Landgericht stärkt Recht auf Balkonkraftwerke in Kleingärten (PV-Magazine)

  • Rekordverdächtiger Wirkungsgrad bei rein organischen Solarzellen erreicht (Chemie)

🔋 Batterietechnologie

  • Baubeginn für weltweit größten Batteriespeicher in der Schweiz (Heise)

  • Batteriemarkt in Europa: Wachstum verlangsamte sich 2024 auf 15 Prozent (PV-Magazine)

  • Customcells ist insolvent – Rückschlag für Flugtaxi-Batterien (Golem)

🌬️ Windenergie

  • Neue Sonderregeln für die Genehmigung von Windenergie (Solarserver)

  • Investoren fordern beschleunigte Genehmigungsverfahren für Windkraftprojekte (Zeit)

⚛️ Atomkraft & Kernfusion

  • ITER: Magnetspulen für internationalen Fusionsreaktor fertiggestellt (Golem)

  • X (Alphabet) beendet den Fusions-Versuch mit dem Z-Pinch-Verfahren (X Company)

  • General Fusion entlässt Mitarbeitende wegen Finanzierungsengpass (TechCrunch)

🛢️ CO₂-Abscheidung & Speicherung

  • Kraftwerksbauer äußern sich skeptisch zur CO₂-Speicherung in Deutschland (Handelsblatt)

  • KI revolutioniert CO₂-Recycling durch Small-Data-Modelle (Chemie)

🌍 Raumfahrt & Monitoring

  • Satellit misst CO₂- und NO₂-Emissionen aus Kraftwerken in Echtzeit (Ingenieur)

🚗 Mobilität

  • Straßenränder werden zu Ladezonen für Elektrofahrzeuge umgewandelt (ZfK)

📈 Marktentwicklungen & Politik

  • Enpal erhält 110 Millionen Euro Wachstumskapital von TPG (Sifted)

  • Trump will sozialen CO₂-Kostensatz drastisch senken (NYTimes)

Jobs…

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👉️ Für Arbeitnehmer: Diese Liste von Portalen für grüne Jobs hilft beim Suchen.

… Deals

💶 Bosch Ventures legt neuen Fonds auf, um in Deeptech-Startups in den USA zu investieren. Größe: €250 Millionen.

Der letzte Link

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Rico Grimm

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