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Das ist eine superkritische Erfindung für ein sauberes Stromnetz
CO2 heizt nicht nur die Atmosphäre auf, sondern ist auch ein hervorragendes Isoliergas – unter bestimmten Bedingungen.

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In dieser Ausgabe zeige ich dir, wie kleine Mengen eines Treibhausgases in Stromnetzen eine absurd große Klimawirkung entfalten können.
👉️ tl;dr – Das Stromnetz braucht Isoliergase, um bei Kurzschlüssen oder ähnlichen Störungen den Stromfluss sicher zu unterbinden. Bisher verwendet die Industrie dafür im Mittel- und Hochspannungsbereich das hochaggressive Treibhausgas Schwefelhexafluorid SF₆. Jedes Jahr emittiert die Menschheit rund 9000 Tonnen des Stoffes, die die gleiche Klimawirkung entfalten wie die gesamten Emissionen Spaniens. US-Forscher haben allerdings einen Weg gefunden, SF₆ klimaneutral durch superkritisches CO₂ zu ersetzen.
Let’s go!
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Er sagte: „Sobald ich etwas regelmäßig lese, bezahle ich dafür. Als der dritte Newsletter von dir kam, habe ich mich gefragt, wo ist denn hier der Abo-Knopf?“
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Superkritisch und superwichtig
Es gibt Treibhausgase und es gibt Schwefelhexafluorid SF₆.
Eigentlich kommt es harmlos daher. Es riecht und brennt nicht und ist für den Menschen ungiftig – aber in der Atmosphäre verhält es sich wie ein jähzorniger König, der an seinem Thron klebt.
Warum SF₆ so gefährlich und doch so beliebt ist
Denn das Gas bleibt tausende Jahre in der Atmosphäre ohne zu zerfallen, absorbiert Infrarotstrahlung sehr effizient und erreicht deswegen die 24.000-fache Klimawirkung von CO₂.
Es gibt in der Natur keine Orte, die SF₆ aus der Luft aufnehmen könnten, anders als etwa bei CO₂, das unter anderem in Meeren gelöst wird.

Quelle: Our World In Data
Die Menschheit kennt nichts Vergleichbares zu SF₆ – und genau das ist das Problem.
SF₆ ist zentraler Bestandteil der Elektrotechnik. Vor allem in den Schaltanlagen der Mittel- und Hochspannung setzen die Ingenieure es ein, um zu verhindern, dass sich Leitungsströme unkontrolliert ausbreiten.
Wir kennen es von zu Hause, wenn eine Steckdose defekt ist und es zum Kurzschluss kommt. Da reicht Luft als Isoliermedium völlig aus; sie kann den kleinen Blitz löschen. Aber in Hochspannungsleitungen braucht es mehr.
Denn, was SF₆ in der Atmosphäre zum Klimakiller macht, macht es in einem Hochspannungs-Schaltkasten zu einem starken Verbündeten: Es ist sehr stabil.
Das Gas kann vier- bis fünfmal effektiver elektrische Anlagen isolieren als Luft und eignet sich hervorragend, um Lichtbogen zu löschen. Diese entstehen, wenn Strom führende Leitungen voneinander getrennt werden.
Die Lichtbögen erhitzen die Umgebung sehr stark und hier spielt SF₆ seinen nächsten Vorteil aus: Große Hitze kann ihm kaum etwas anhaben. Der König bleibt gelassen auf dem Thron.

Noch ist da ein Lichtbogen, aber gleich nicht mehr. Hier kannst du die ganze Animation sehen: Wie Hochspannungsleistungsschalter funktionieren
Diese Eigenschaften machen SF₆ zum perfekten Isoliergas. Es ermöglicht den Bau kompakter Anlagen, die vor allem in Städten wichtig sind.
Analog zur Urbanisierung und Elektrifizierung wächst auch der SF₆-Ausstoß der Menschheit unaufhörlich, erkennbar an einer höheren Konzentration des Gases in der Atmosphäre.

Quelle: NOAA
Die Europäische Union hat darauf reagiert und verbietet schrittweise den Einsatz von SF₆ in Stromleitungen.
Die Verbote beginnen auf den niedrigeren Spannungsebenen und betreffen vor allem Neuanlagen. Aber ab dem Jahr 2032 darf das Gas nicht mehr in Hochspannungs-Stromleitungen, egal ob alt oder neu, verwendet werden. Drei Jahre später greift ein allgemeines Verbot.
Die deutsche Industrie hat 2024 mehr als 800 Tonnen des Gases bezogen und muss nun zunehmend umschwenken.
Schon jetzt gibt es klimafreundlichere Alternativen – mit Nachteilen
Für die Mittelspannung und niedriger hatten Anbieter wie GE Vernova, Siemens Energy oder ABB bereits Lösungen gefunden. GE setzt etwa auf ein spezielles Gasgemisch, das nicht so klimapotent ist, in dem allerdings auch wieder fluorierte Gase zum Einsatz kommen.
Anlagen lassen sich auch mit Luft isolieren, aber zum Preis eines größeren Platzbedarfes und in bestimmten Situationen können auch feste Stoffe zum Einsatz kommen (PDF I, PDF II).
Allerdings haben alle bisherigen Lösungen Nachteile:
Die Gasgemische sind noch immer nicht klimaneutral.
Ihre Nebenprodukte können für Menschen giftig sein, weswegen Arbeiter volle Schutzausrüstung tragen müssen.
Es gibt das Risiko, dass auch diese Gemische deswegen später verboten werden.
Luft und feste Stoffe können nicht überall eingesetzt werden und würden aufwendige Neuinstallationen erfordern.
Wie superkritisches CO₂ diese Nachteile ausgleichen kann
Ein Forscherteam der Georgia Tech Universität aus den USA testet jetzt aber einen Ansatz, der wirklich komplett klimaneutral ist – solange das dafür nötige CO₂ aus der Atmosphäre gewonnen wird. Sie haben den ersten Hochspannungsschalter mit superkritischem CO₂ (sCO2) entwickelt und haben begonnen, ihn zu testen.
Superkritisches CO₂ ist Kohlenstoffdioxid, das fluide ist, nicht flüssig, sondern fluide. Es entsteht bei sehr entspannten 31°C Temperatur und etwas weniger entspannten 74 bar Druck.
Genau am kritischen Punkt ist es eine zähe, dichte Masse, hervorragend geeignet, um Elektronen aufzuhalten, die sich unkontrolliert ausbreiten können.

Quelle: Wikipedia, Regi51, CC BY-SA 2.0
Allerdings hatte das US-Forscherteam ein Problem: Es musste Komponenten für die Schaltanlage bauen, die den nötigen hohen Druck aushalten konnten.
Aus einem Artikel bei IEEE:
Das Team wandte sich an die Erdölindustrie, um die benötigten Teile zu finden, und konnte alle bis auf eines beschaffen: die Durchführung (“bushing”). Diese entscheidende Komponente leitet Strom durch das Gerätegehäuse. Aber eine Durchführung, die einem Druck von 120 Atmosphären standhalten kann, existierte nicht. Daher stellte Georgia Tech eine eigene her, unter Verwendung von mineralisch gefüllten Epoxidharzen, Kupferleitern, Stahlrohren und Blindflanschen.
🍏 Was ich denke
Sollten die Tests erfolgreich verlaufen, könnte sich die Erfindung der US-Forscher zu dem Maßstab für echte Dekarbonisierung des Netzbetriebs entwickeln – erst einmal egal, wie teuer die neue Lösung dann wäre.
Denn die alternativen Gasgemische der Elektrotechnikindustrie funktionieren zwar schon heute, sind aber nur deswegen aktuell die beste Lösung, weil es keine klimafreundlichere gibt.
Bisher kann die Politik keine vollständige Dekarbonisierung vorschreiben, weil es schlicht keine Lösung gibt. Das könnte sich durch die Verwendung von superkritischem CO₂ ändern.
👉️ Steige tiefer ein
Die Frage, die wir uns alle den Schlaf gekostet hat: Kann ein Boot auf superkritischem CO₂ schwimmen? Hier geht es zum Testvideo.
Superkritisches CO₂ kann auch die Effektivität von Gasturbinen erhöhen – das wäre eventuell wichtig für E-Fuel-basierte Langzeitspeichersysteme, die grünen Wasserstoff verstromen. Mehr dazu bei der TU Dresden.
Zu den Wasserstoff-Langzeitspeichern habe ich hier mehr geschrieben.
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Die guten Links
Deep Dives, die deine Zeit wert sind.
💶 🇪🇺 Das Portal Sifted hat die am schnellsten wachsenden Klima-Startups Europas gesucht. Interessant ist, dass vor allem kleine Teams rasant wachsen – und es davon abgesehen keinen gemeinsamen Nenner zwischen ihnen gibt. Climatiq hilft bei der Berechnung von CO₂-Emissionen, Vok Bikes stellt E-Lastenräder her und Ehoss hilft bei der Emissionsreduzierung der Viehhaltung.

🏙️ Städte werden Hitzekammern mit fortschreitender Erderwärmung. Dieser Text zeigt, was dagegen helfen kann. Schöner Evergreen.
🇨🇭 Für die Schweizer Leser: Hier wird ein grünes und atomfreies Energiesystem für das Jahr 2050 skizziert. Zentrale Erkenntnis: Je weniger die Schweiz mit dem Rest des Kontinents Strom handeln will, desto teurer wird es. Und das könnte auch eine Lektion für den Rest des Kontinents sein 😉
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Terralayr: Virtuelle 50-MW-Batterie wird von RWE vermarktet (Solarserver)
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