Das wird der Reiche-Rutsch bei Solar

Die Wirtschaftsministerin will die Einspeisevergütung für neue Anlagen ersatzlos streichen.

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Ministerin Reiche will die Solarförderung beenden

Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hat gegenüber der Augsburger Allgemeinen verkündet, die Einspeisevergütung für neue Solaranlagen abschaffen zu wollen. Wer aktuell eine neue Anlage anschließt, bekommt zwischen 7,68 Cent/kWh und 12,47 Cent/kWh.

Reiche begründet ihren Schritt so: “Neue, kleine PV-Anlagen rechnen sich schon heute im Markt und bedürften keiner Förderung”. Für Altanlagen gelte aber Bestandsschutz.

Warum das wichtig ist

Die Einspeisevergütung hat die deutsche Energiewende ermöglicht, weil sich mit ihr die Anschaffung einer Solaranlage lange Zeit überhaupt erst rentierte.

Gleichzeitig zog das große Industrieland Deutschland bis zum Altmaier-Knick im Jahr 2012 große Teile der globalen Solarindustrie im Schlepptau und ermöglichte so Fortschritte in der Produktion, die langfristig die Modulpreise für die ganze Welt senkten.

Na, erkennst du den Altmaier-Knick? Ab 2012 brach nach einer Gesetzesänderung der Solarausbau in Deutschland ein. 2017 folgte bei Wind dann die „Gabriel“-Delle, benannt nach Sigmar Gabriel.

Außerdem sollen sich PV-Anlagen am Netzausbau beteiligen

Reiche verband ihren Vorschlag mit zwei weiteren Punkten, blieb aber bei den Details vage:

  • „Wind an Land und Solaranlagen müssen sich in Zukunft stärker an den Kosten des Netzausbaus beteiligen.“

  • Betreiber der Anlagen müssten sie mit Speichern versehen und ihren Strom direkt vermarkten.

Was die Solarindustrie davon hält

Wenig, klar.

  • Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) warnt, dass diese Pläne die Klimaziele und 150.000 Arbeitsplätze im Solarhandwerk gefährden werden.

  • Der Bundesverband des Solarhandwerks (BDSH): „Es fehlt an einem Masterplan seitens der Ministerin, wie der Photovoltaik-Ausbau vonstattengehen soll.“

  • Carolin Dähling von Green Planet Energy: „Das Framing der Wirtschaftsministerin von Wind und Solar als Kostentreiber ist falsch und gefährlich.“

  • Enpal und 1Komma5° warnen wortgleich, dass „nicht der zweite Schritt vor dem ersten gemacht werden dürfe“. Das Ziel einer marktbasierten Lösung teile man, aber bevor diese kommen könne, müssten Gesetze vereinfacht und Prozesse verschlankt werden. (Quelle für alle Zitate hier)

🍏 Was ich denke

Die Solarmodulpreise fallen seit Jahren. Es kann billiger sein, einen Zaun aus Solarmodulen zu bauen anstatt aus Holz.

Gleichzeitig produziert Deutschland so viel Sonnenstrom, dass es immer mehr Stunden erlebt, in denen Strom an der Börse zu negativen Preisen gehandelt wird.

Selbst die solarfreundlichere Ampel-Regierung musste deswegen reagieren: Sie verschob die Einspeisevergütung für Solaranlagen in Stunden negativer Preise auf die Zeiten positiver Preise.

Es ist also nicht so, als ob Katherina Reiche nur Luftschlösser bauen würde. Verbände, Experten und Unternehmen sind sich einig: Der Markt muss reformiert werden.

Aber hier zeigt sich das gleiche Bild wie bei der Absicherung gegen Dunkelflauten.

Wenn Katherina Reiche die Wahl hat, die Energiewende zu vertiefen oder sie aufzuhalten, entscheidet sie sich gegen die Energiewende.

Denn Reiches Vorschläge hätten aktuell eine einfache Folge: Der Solarausbau würde mit Ansage einbrechen. Es käme zum Reiche-Rutsch.

Die Ministerin nimmt mit ihren Plänen neue und auch manche alte Anlagen in einen Würgegriff.

Einerseits sollen sie plötzlich Netzentgelte zahlen, andererseits sollen sie sich in einem Markt refinanzieren, der weder die Technik noch das Marktdesign noch die Regeln aufweist, um das wirtschaftlich tun zu können.

  • Technik: Deutschland hat zu wenige Smart Meter. Aktuell beträgt die Quote gerade einmal 3 Prozent. Ohne Smart Meter kann kein Strom direkt vermarktet werden. Der Ausbau verläuft schleppend und kostet zusätzlich Geld.

  • Marktdesign: Kein Betreiber einer kleinen Anlage wird selbst an der Börse handeln; das übernehmen Direktvermarkter gegen Provision.

  • Regeln: Wer wann welche Netzentgelte zahlen soll, ist unklar. Die Bundesnetzagentur tüftelt noch an Vorschlägen. Da aber sowohl die Regierung als auch der Chef der Agentur kleine Anlagen zahlen lassen wollen, wird der Betrieb einer PV-Anlage noch einmal teurer.

In Summe steigen Unsicherheit und Kosten für die Betreiber kleiner PV-Anlagen. Dass das einen Effekt hat, hat das Solarspitzengesetz gezeigt. Seitdem es im Februar mit seinen strengeren Regeln in Kraft trat, werden weniger PV-Anlagen angeschlossen.

Reiche liegt mit ihren Vorschlägen ganz auf Linie ihrer ehemaligen Arbeitgeber E.ON und dem Stadtwerke-Lobbyverband (VKU).

E.ON und die Stadtwerke verdienen aktuell noch gut mit fossilen Brennstoffen. Sie wollen den Niedergang dieser Geschäftszweige so lange herauszögern, wie es nur geht. Das liegt in ihrem ökonomischen Interesse, und dieses Interesse wiegt schwerer als die Beteuerungen, dass es zur Energiewende „keine vertretbare Alternative“ gäbe, wie VKU-Chef Ingbert Liebing sich in der hauseigenen Pressemitteilung zitieren ließ.

Da Reiche gleichzeitig mehr Gaskraftwerke bauen lassen will als gebraucht werden und den Gasverbrauch mit Mitteln aus dem Klimafonds subventionieren will, fügen sich ihre Solarpläne zu einem kohärenten Bild zusammen: Das fossile System schlägt zurück, die großen zentralen Versorger wollen wieder das Sagen haben – und mehr verdienen.

Alle, die in der Solarbranche arbeiten, müssen sich auf harte Zeiten einstellen.

👉️ Steige tiefer ein

  • Wie sich private Heimspeicher besser ins Netz integrieren ließen, hat mir hier Energieexperte Lion Hirth erzählt (€)

  • „How Did Solar Power Get Cheap?“ – guter Einstieg in die Geschichte der Solarindustrie und der Modulproduktion

Northvolt-Übernahme, CCS-Gesetz und Windkraft-Auktion ohne Bieter

Drei Meldungen kamen in den vergangenen Tagen, die so wichtig waren, dass ich sie nicht in den News unten vergraben will:

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Rico Grimm

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